Das Psychobiographische Pflegemodell nach Prof. E. Böhm Auszüge & Grundlagen

Auszüge & Grundlagen des Pflegemodells

Der Begründer des psychobiografischen Pflegemodells, Prof. Erwin Böhm, hat einen ganzheitlichen Ansatz für die Pflege und Betreuung jener Menschen geschaffen, die demenziell erkrankt sind. Sein Modell fördert ein vertieftes Pflegeverständnis. Es soll dazu beitragen, die Professionalität und Kreativität der Pflege zu fördern.

Böhms Modell befasst sich mit den Möglichkeiten, die Selbstpflege und Selbstfürsorge alter und verwirrter Menschen so lange wie möglich zu erhalten bzw. wiederherzustellen.

Dieses Pflegemodell legt den Schwerpunkt auf die Prägungsphase eines jeden Menschen. Laut Prof. Böhm verläuft die Prägungsphase bei jedem Menschen bis zu seinem 25. - 30. Lebensjahr.

Aktivierende Pflege, auch reaktivierende Pflege genannt, umfasst die alltägliche Pflegepraxis, die die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der pflegebedürftigen Person erhält, fördert und gegebenenfalls reaktiviert.

Prägung - die ersten 25 bis 30 Jahre eines Menschen formen ihn. Sie beeinflussen sein Verhalten, seine Gefühlswelt, er wird für sein Leben geprägt.

Psychobiografische reaktivierende Pflege holt ältere Klienten dort ab, wo sie jetzt in ihrem Altgedächtnis stehen.
Über die Erhebung der individuellen Biografie (= alles, was ihm in seinem Leben Wichtiges widerfahren ist, was er gelernt, aber vor allem gefühlt hat, wie er auf belastende Situationen reagiert hat) werden so genannte Verhaltensmuster = COPINGS für uns Pflegende bekannt. 

Wie hat der Mensch gelernt, mit Problemen umzugehen?
Wenn wir das Verhalten des alten Menschen verstehen wollen, müssen wir wissen was ihn geprägt hat. Kenntnisse über Erziehungsnormen, die regionale Geschichte sowie zeitgeschichtliche Faktoren sind unbedingt erforderlich. Auf der Grundlage dieser Lebensantriebe versuchen wir eine seelische Wiederbelebung des alten Menschen zu ermöglichen!

So genannte Auffälligkeiten alter Menschen (wie z.B. Wahn, Aggressionen, Verwirrtheit, Depressionen...) sind auch bei zunehmendem Gehirnabbau durchaus positiv beeinflussbar!

Die Sichtweise der Pflegenden bestimmt die Pflegeform!
 Die Organisation Pflege wird nicht am Betriebsablauf orientiert, sondern richtet sich nach den Gewohnheiten des alten Menschen. Dadurch verhindern wir eine Überversorgung des Körpers und eine Unterversorgung der seelischen Bedürfnisse! 

Es wird der Nachweis erbracht, dass geriatrische Pflege (heute überall angeboten) nicht nur aus Grund- und Behandlungspflege, sondern viel mehr als Seelenpflege betrieben werden muss.
 Das Defizitmodell zur geistigen Leistungsfähigkeit im Alter sollte heute als überholt betrachtet werden: Der alte Mensch muss als Individuum mit einer eigenen Ausprägung der Leistungsfähigkeit betrachtet werden!!!

Impulse für Wohnen, Essen Trinken, Körperpflege, Tagesablauf usw. ergeben sich aus der individuellen Biografie

Dieses Pflegekonzept führt zu einer enormen Verbesserung der PFLEGEQUALITÄT, mit größerer BERUFSZUFRIEDENHEIT!!!!

REAKTIVIERUNG – „Sich regen bringt Segen“. Die Selbständigkeit, die soziale Kompetenz der Senioren soll so lange wie möglich erhalten bzw. gefördert werden. Unter Selbständigkeit ist aber nicht vorrangig der Körper gemeint, sondern der Geist und die Psyche, also selbständig denken, fühlen und natürlich selbst entscheiden oder mitentscheiden dürfen. Ziel ist es den „aalten“ Menschen aus der Regression (Demenz) wieder in das Leben und den Alltag zurückzuholen. Hierfür werden Situationen geschaffen, welcher der Mensch aus seiner Prägungszeit gewohnt ist und als normal ansieht. Hierzu zählen z.B. gewohnte Handlungen wie Kochen und Backen, leichte Hausarbeiten, Pflege von Blumen, Besuch von Gottesdiensten usw. Ein weiterer wichtiger Aspekt der reaktivierenden Pflege ist die individuelle Tagesstrukturierung. So entscheidet jede/r Bewohner/in wann er aufsteht oder zu Bett geht. Auch der Kontakt zu Tieren ist wichtig. Als bedeutender Aspekt ist die enge Zusammenarbeit mit Angehörigen oder Familienmitgliedern zu nennen. Gerade das Wiedererkennen fördert das allgemeine Befinden des älteren Menschen und motiviert zu Handlungen. Um die – für die reaktivierende Pflege – wichtige Normalität zu erzeugen, ist die Gestaltung des Wohnbereiches und die Zimmer der Bewohner:innen ausschlaggebend.

„Vor den Beinen muss die Seele bewegt werden“ (Zitat Prof. Erwin Böhm) – wir müssen Ziele finden, die zum Aufleben, also zur Vigilanzsteigerung beitragen. Reaktivierende Pflege nach Böhm ist ein Impuls zur Wiederbelebung der Altersseele. Reaktivierende pflege heißt aber auch, wieder aufrufen, was einmal aktive Funktion war.

Normalitätsbegriff – Böhm geht davon aus, dass jeder Mensch seine individuelle Normalität schafft. Dies geschieht während der ersten 25 bis 30 Lebensjahre und wird als sogenannte Prägungszeit beschrieben. Der Mensch wird in dieser zeit durch die Kultur, individuelle Erfahrungen und die Sozialisationsprozesse geprägt. Durch die demenzielle Veränderung und der damit einhergehenden Regression, wird gerade diese Prägungszeit und die in Ihr erlebte Normalität wieder präsenter. Deshalb ist jede/r Bewohner/in sowie ihr Verhalten als „normal“ anzusehen. Die Kenntnis der von den Bewohner:innen erlebten Normalität ist die Grundlage einer individuellen Betreuung. Hierfür ist eine ausführliche und strukturierte Biografie die Grundlage.

Biografie/Psychobiografie – Grundlage für die Biografiearbeit nach Böhm ist nicht eine chronologische Übersicht über das Leben eines/er Bewohners/in sondern seine individuelle erlebte Relevanz. Hierzu gehören besonders – Erzählungen über frühere Erlebnisse und Geschichten; der erlebte Sozialisationsprozess; Geburtsdatum, Geburtsort, Wohnort in der Jugend, Größe der Herkunftsfamilie, Beruf in der Prägungszeit, die soziale Schicht, Freizeitbeschäftigung, Familienstand und Kinder; die erworbenen Copings (Lebensbewältigungsstrategien). Bei der Biografiearbeit ist darauf zu achten, dass zu der Prägungszeit der Bewohner:innen andere soziale Normen und Rollenbilder vorherrschten. Aus all diesen Punkten ergibt sich die Psychobiografie, also eine gedeutete und analysierte Biografie des/der Bewohners/in.

Milieugestaltung – Die Lebenswelt der Bewohner:innen ist den Wohnverhältnissen ihrer Prägungszeit anzupassen. Ein/e Bewohner/in die jetzt 80 Jahre als ist, hatte ihre Prägungszeit in 1960ern. Somit ist auch eine authentische Einrichtung aus dieser Epoche zu verwenden und immer wieder dem Alter der Bewohner:innen anzupassen.